Menschheitstrauma

 

Mischtechnik, 1994, Signiert: ER, polychrom, DIN-A-3

 

Charakteristisch für das reife Werk des Künstlers ist die Abstraktion von Form und Farbe, was in diesem Bild besonders eindrücklich zu erkennen ist. Der Mensch wurde auf ein Minimum reduziert, indem nur die relevanten Strahlen aus dem Spektrum "Mensch" herausgefiltert wurden; da der Mensch in seiner Gesamtheit für den Künstler nicht befriedigend dargestellt werden kann. Die hier dargestellte, imaginäre Person wurde auf ihre primären Funktionen untersucht und begrenzt.

Die für den Kunstaktivisten (wie er von Fachleuten genannt wird) relevanten Funktionen sind:

 

     1. Das nur wenig abstrahierte Auge, bietet für den Betrachter den Einstieg in das Bild. Es wird als Sensor für Reize und Signale und der Umwelt des Menschen verstanden. "Das Auge habe ich hier gewählt, da in unserer Umwelt immer mehr visuelle Reize auf uns [...] einwirken (Filme, Leuchtreklamen...)."

     2. Diese Informationen müssen dann im Kopf, dem Sitz des Gehirns, in diesem Fall nur mit verschwommenen Konturen charakterisiert, verarbeitet werden. Der nur schemenhaft dargestellte Kopf steht im Formenkanon des Künstlers für den nicht zu erfassenden intellektuellen Verstand.

     3. Die empfangenen und verarbeiteten Signale führen dann wiederum zur eigenständigen Signalaussendung des Individuums. Der Mund, ein materialisierter Schrei, trägt unverkennbar maschinell-technische Züge (vergleichbar mit einem Megaphon). Die Gitterform der Zähne ist ein Zeichen für die eigene Zensur des schöpferischen Menschen. Die blaue Farbe der Lippen steht, wie schon in mittelalterlichen Kunstwerken, für das göttliche. Durch Artikulation von Wörtern wird der Mensch selbst zum Schöpfer, zum Gott-ähnlichen. Er erhebt sich durch den kreativen Umgang mit der Sprache über die niedrige Kreatur.

     4. Das Herz, das außerhalb des Gesichtsfeldes steht, ist nur sekundär in den Informationsfluß eingebunden. Es beeinflußt von außerhalb unsere Gedankenmaschinerie. Das Hören auf die Sprache des Herzens erhebt den Menschen über die sklavisch einem Schema gehorchende Maschine. Die "Einmischung" erweist sich aber auch oft als hinderlich, da sie rationale Entscheidungen blockieren und objektive Wahrnehmungen verhindern kann. Zumal das Herz zum Teil durch eine Kruste aus Haß, Neid, Eifersucht und ähnlichen, vergleichbar negativen Gefühlen umgeben ist und deshalb seinen wahren Charakter nicht an den Tag legen kann. Der ganze Komplex der Wahrheitsfindung wird außerdem noch überschattet vom Widerstreit zwischen göttlichem und bösem, in der Darstellung durch Schwarz und Blau charakterisiert.

 

Die versteckte Symbolik in diesem Werk lädt zu einer tieferen und persönlicheren Auseinandersetzung fernab des offiziellen Kunstbetriebes ein.